Der alte Mann über Freude und Traurigkeit

 

Rolf Müller

 

Unsere Stimmung ist je nach  Situation verschieden. Ein freudiges Ereignis beflügelt uns, ein Trauerfall drückt uns nieder. Normalerweise vergeht die Traurigkeit nach einer gewissen Zeit, je nach Betroffenheit. Zu unserem Leben gehört Traurigkeit ebenso wie Freude.  

 

Manchmal aber bleibt die Traurigkeit. Sie wird zum Dauerzustand. Wir sind niedergeschlagen. Es schwindet der Mut zum Leben. Wir bilden uns ein, nicht mehr gebraucht zu werden. Wir werden depressiv.

 

Das äußert sich in einer dauernden Niedergeschlagenheit. Man ist gehemmt, hat keine Lust zum Leben, ist ständig in einer niedergedrückten Stimmung. Uns fehlt der Elan, wir haben zu nichts Lust. Wir wissen nicht, was mit uns los ist. Wir möchten uns am liebsten verkriechen. Es ist kein Auftrieb mehr da, unser Denken ist negativ geprägt. Wir sehen nur noch die Schwierigkeiten.

 

Als Christen verlieren wir die Freude. Wir können nicht mehr glauben und beten. Christus ist für alle Menschen gestorben, aber nicht für mich. Meine Schuld ist zu groß. Unsere Auffassungsgabe ist eingeschränkt. Wir lesen die Bibel, aber es geht nicht mehr in unseren Kopf.  Wozu bin ich überhaupt auf der Welt? Das kann bis hin zu Selbstmordgedanken führen. Das alles sind Anzeichen  einer Depression.

 

Depression ist eine Krankheit und muss ärztlich behandelt werden. Der alte Mann hatte mit einem Glaubensbruder zu tun, der von Depressionen geplagt wurde. Er war kaum noch für Argumente ansprechbar. Sein ständig wiederholter Kommentar lautete: "Ich bin verloren!"

 

Die Krankheitszeichen sind oft von der Tageszeit geprägt. Früh ist es schlimmer als abends. Der neue Tag liegt wie ein Berg vor uns. Abends fühlen wir uns meist etwas gelöster.

 

Uns gehen sehr viele Dinge im Kopf herum. Das hindert uns am Einschlafen. Dazu kommen körperliche Schmerzen. Auch ein häufiges Unwohlsein kann Depression auslösen. Man versinkt in eine grundlose Traurigkeit. Was kann ich als Betroffener tun?

 

Ich sollte einen Arzt aufsuchen. Es fehlen manchmal im Gehirn bestimmte Stoffe, die Depression auslösen können. Sie können medikamentös zugeführt werden. Eine Behandlung kann längere Zeit dauern. Weil ich mich selbst nicht mehr richtig kenne, sollte ich Rat von einem gläubigen Mitmenschen annehmen.

 

Es hilft nicht, wenn man einen depressiven Menschen mit erhobenem Zeigefinger ermahnt. Unsere Appelle treiben den Betroffenen nur tiefer in die Traurigkeit. Sein Wille ist ja negativ geprägt, er ist nicht fähig, sich "zusammenzureißen". Auch unser Bedauern wird nichts ändern. Der Betroffene weiß selber, dass er schlimm dran ist.

 

Wir können Betroffene ein Stück begleiten, aber dürfen sie  nicht überfordern. Wir können ihnen  kleine überschaubare Aufgaben stellen. Der Umgang erfordert viel Liebe und Geduld, aber auch Konsequenz. Trostreiche Bibelworte und vor allem Gebet sind nötig. Trotzdem werden wir im Umgang mit depressiven Menschen auch immer wieder Fehler machen.

 

Es ist gut, ohne Voreingenommenheit auf die Kranken zuzugehen, sie unsere Liebe spüren zu lassen. Das ist oft nicht einfach, aber notwendig. Der erwähnte Glaubensbruder konnte später unter anderem auch mit ärztlicher Hilfe von seiner Depression geheilt werden. Er wurde wieder ein fröhliches Gotteskind. Er bezeugte Jesus Christus und wurde ein Segen für seine Umgebung. Vor kurzem ging er im Frieden Gottes heim.

 

Ständige Überforderung kann depressiv machen. Ständiger Stress macht krank. Man kann heute die Menschen in zwei Kategorien einteilen: Die einen stehen im Stress und könnten Tag und Nacht arbeiten, die anderen sind arbeitslos und haben nichts zu tun. Beides kann depressiv machen.

 

Der alte Mann sieht, dass Unzufriedenheit bei vielen zu einer neuen Lebenshaltung geworden ist. Die Gesprächskultur verschwindet. Im Fernsehzeitalter verkümmern die Gespräche. Mit dem Fernsehgerät kann man sich nicht unterhalten. So gut Fernsehen manchmal sein kann, es fördert die Vereinsamung. Uns fehlen die Anteilnahme und der Austausch mit wirklichen Menschen aus Fleisch und Blut. Manche wissen in der "Lindenstraße" gut Bescheid, aber wie es dem Nachbar geht, lässt sie kalt.

 

Warum sind wir so unzufrieden mit unserem Leben? Wir hätten doch allen Grund, zufrieden zu sein.  Warum sehen wir alles so überwiegend negativ? Viele erwecken den Eindruck, dass sie sich über nichts mehr freuen können. Dabei geht es doch den meisten Menschen materiell bestens. Statt über unseren angeblichen Mangel zu klagen, sollten wir fragen, wofür wir unserem Gott heute danken können.

 

Warum sollt ich mich denn grämen? 

Hab ich doch Christum noch, 

wer will mir den nehmen? 

Wer will mir den Himmel  rauben, 

den mir schon Gottes Sohn  

beigelegt im Glauben?

 

(Paul Gerhardt)