Ich kenne euch nicht !

Ich erkenne die Meinen und bin bekannt den MeinenJoh. 10, 14

 

Nicht ohne weiteres wird man erkennen können, welch ein großes Geheimnis in diesen Worten liegt.

 

Sie sagen uns, dass eine innige Bekanntschaft zwischen dem Herrn und Seinen Schafen herrscht, auf der alles beruht.

 

Was mag das bedeuten? Man fängt an, etwas zu ahnen, wenn man denselben Herrn in der entscheidenden Stunde, in der Er an Sein Versöhnungswerk geht, feierlich erklären hört: „Das ist das ewige Leben, dass sie Dich, der Du allein wahrer Gott bist, und den Du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“

 

Höre, was der Herr Christus für das ewige Leben erklärt!

 

Nur Gott und den Heiland zu erkennen.

 

Und, wenn Er von dem feinsten Selbstbetrug in geistlichen Dingen redet, von dem Betrug einer eigenen Frömmigkeit, Kraft und Geistlichkeit, durch den viele am Jüngsten Tage sagen werden: „Haben wir nicht in Deinem Namen geweissagt und in Deinem Namen Teufel ausgetrieben und in Deinem Namen viele Taten getan?“ — dann wird Er sie mit den Worten „Ich habe euch noch nie erkannt“ abweisen.

 

Dieselben Worte finden wir in dem ewig gültigen Abweisungsurteil über die Jungfrauen, die zur Hochzeit wollten, ihre Lampen nahmen, dem Bräutigam entgegengingen, aber kein Öl hatten. Der Herr wird nur diese eine Bemerkung machen: „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Ich kenne euch nicht.“

 

Bedenke, wie bedeutungsvoll dieses Wort „kennen“ hier sein muss. Dasselbe Richterwort gebraucht Er, als Er erklärt, weshalb diejenigen, welche durch die enge Pforte einzugehen trachteten, es aber dennoch nicht konnten und dann beschwörend sagen würden: „Wir haben vor Dir gegessen und getrunken, und auf den Gassen hast du uns gelehrt“; auch ihnen gilt das gleiche, niederschmetternde Richterwort: „Ich kenne euch nicht, woher ihr seid.“

O, muss nicht ein jeder, der dies liest und dabei erkennt, wie der Herr Christus als der entscheidende Richter so ernstlich darum geeifert hat, dies hervorzuheben — muss nicht ein jeder merken, dass hier ein überaus wichtiges Geheimnis vorliegt? Für die Gläubigen war und ist dies nichts Unvermutetes; im Gegenteil, für sie sollte es gerade eine erfreuliche Bestätigung dafür sein, dass sie Ihn recht erfasst haben.

 

Unerwartet aber ist es für diejenigen, die sich darüber wundern, dass der Herr nicht sagt: „Ihr habt gegen Mein Gesetz gesündigt“ oder „Ihr seid nicht ernstlich genug in eurer Besserung und Heiligung gewesen“; ja, auch für diejenigen, die sich wundern, dass der Herr nicht eine scharf eingeteilte Gnadenordnung vorlegte und sagte: „Gegen diese habt ihr gefehlt“. Überraschend wird es für alle diejenigen sein, die es so haben wollen, die zu ihrer Verwunderung Ihn aber immer nur sagen hören: „Ich kenne euch nicht!“

 

Alle werden erkennen müssen, dass in dem Texte vom Jüngsten Gericht bei Matth.25, wo so viele Werke angeführt werden, dennoch das ganze Gewicht darauf gelegt wird: „Das habt ihr Mir getan“, um Meinetwillen habt ihr Meinen geringsten Brüdern dies oder jenes getan, dass also Christus und eine innige Bekanntschaft mit Ihm die Quelle gewesen sind, aus der diese Werke flossen; dass allein Christus, nicht aber ihre eigene Heiligkeit, der Gegenstand ihres Auges und ihres Heiligungseifers gewesen ist.

 

Sollten nicht alle, die erkannt haben, welche besondere Fürsorge Jesus um dieses Verhältnis geübt hat, um des Herrn Christus und des ewigen Wohls ihrer unsterblichen Seelen willen einmal stillhalten und sich von dem Herrn, der die Schlüssel in Seiner Hand hat, sagen lassen, dass, wo Er zuschließt, kein Mensch aufschließt?

 

Sollten wir nicht Seinen Worten stillhalten und sie ernstlich beherzigen? Viele ernste und fromme Männer sind nach jahrzehntelangem heiligen Eifer um Gott und Sein Reich dadurch über dies Verhältnis aufgewacht und wie Brände aus dem Feuer gerissen worden, dass sie das Geheimnis des Reiches Gottes in dem duldenden, blutenden Herrn mit den durchbohrten Händen und Füßen zu sehen bekamen.

 

Nur in Ihm und in Seinem Tod haben sie hinfort ihr ganzes Leben, ihre Freude und ihren Trost erhalten und alsbald ihre bisherige irdische Seligkeit demgegenüber für schal und jammervoll erachtet. So wird man gesinnt, wenn man Jesus recht erkennen lernt; und nur diejenigen, bei welchen Christi Erkenntnis solcher Art ist, sind Seine Schafe.

 

„Willst du dann ein für allemal wissen und deutlich definieren (bestimmen) können, was ein Christ sei“, sagt Luther, „oder woher der Mensch ein Christ heiße, so musst du nicht sehen nach Mose Gesetz oder der größten Heiligen Leben und Heiligkeit, sondern nur hierher auf das Wort Christi: „Meine Schafe kennen Mich“, so dass du sagst:

 

Ein Christ ist nicht, der da ein herrlich, streng, ernstlich Mönchs- und Einsiedlerleben führt; denn solches können auch Juden und Türken tun, unter denen etliche viel strenger leben.

 

Kurz: Alles, was in uns und von uns geschehen kann, das macht keinen Christen.

 

Was denn? Allein das, dass man diesen Mann kenne, von Ihm halte und sich zu Ihm versehe, was Er will von Ihm gehalten haben, nämlich dass Er sei der gute Hirte, der Sein Leben für die Schafe lässt und sie erkennt.

 

Solche Erkenntnis heißt und ist nichts anderes denn der Glaube, so da folgt aus der Predigt des Evangeliums.“

 

„Weicht alle von Mir!“ O schreckliches Wort!

So wird Er nur sagen zu jenen dort,

Die hier nicht im Glauben zu Ihm gekommen

Und Seine Versöhnung nicht angenommen

Zu ihrem Heil.

 

 

Aus dem ‘‘Täglichen Seelenbrot‘‘ von Olaf Rosenius

Entnommen aus dem Buch von Mag. Olof Rosenius – ‘‘Tägliches Seelenbrot‘‘

(herausgegeben von LUTH. MISSIONSVEREIN SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. http://www.rosenius.de)