Ihm ganz geweiht sein!

Carl Olof Rosenius

Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte. Luk. 10, 27

Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Und was kann billiger sein, als Gott den Herrn so zu lieben? Ist es nicht wahr und recht, dass jeder Pulsschlag, jeder Gedanke, jede Kraft, unser ganzes Herz und unser Denkvermögen samt Leib, Seele und Geist Ihm angehören, jeden Augenblick Ihm geweiht sein sollten? Keine Stunde unseres Lebens dürfte dahingehen, ohne dass wir mit sehnsuchtsvoll liebender Seele auf Ihn sähen, nach Seinem Willen und Wohlgefallen fragten, auf Seine Winke achteten. Wesen, die zum Bilde Gottes geschaffen sind, geziemt wahrlich nichts weniger. Und dies liegt in den Worten: „Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt.“

 

Dass du Gott lieben sollst „von ganzem Herzen“, besagt eindeutig, dass du Ihn aufrichtig und ohne Heuchelei wirklich lieben sollst, so dass Er das vornehmste Ziel deines Herzens ist, das alle anderen in den Schatten stellt und worauf alles hinzielt. Denn wir wissen: Der Mensch ist so beschaffen, dass er nie zu gleicher Zeit zwei Ziele gleich viel lieben kann, sondern eins ist immer das vorherrschende, wie Jesus Matth. 6, 24 erklärt. Gerade dieses vornehmlichste Ziel deines Herzens, an das du am meisten denkst, nach dem du am meisten trachtest, an dem du am meisten hängst und das dich am meisten befriedigt — dieses Ziel deines Herzens will Gott der Herr allein sein. Dies bedeutet das Wort „lieben von ganzem Herzen“. Die folgenden Worte bilden hernach nur eine weitere Entwicklung des ersteren oder dessen, was immer damit Hand in Hand geht. Wenn also „von ganzer Seele“ hinzugefügt wird, so heißt dies, dass du, wenn du Gott von ganzem Herzen liebst, auch dein ganzes Leben Ihm opferst, so dass dein eigenes Wohlergehen, deine Ehre, dein Genuss, ja selbst dein Leben gegen Ihn gering geschätzt werden.

 

Denn das Wort „Seele“ bezeichnet in der Schriftsprache gewöhnlich das leibliche Leben und alles das, was in unseren äußeren Sinnen vor sich geht. Wenn also entweder Liebe zu den irdischen Dingen und eigenem Besitz oder Furcht vor dem Leiden dich vom Herrn ablenken und wegtreiben wollen, dann sollst du alles fahren lassen und sprechen: „Jetzt möge verlorengehen, möge über mich kommen, was da will; wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.“

 

Weiter heißt es „von allen Kräften“. Alle deine Kräfte sollen jeden Augenblick mit Gott, mit Seiner Verehrung und Seinem Dienst beschäftigt sein, so dass deine Gedanken immer bei Ihm sind, deine Vorstellungen und Gemütsbewegungen immer Ihn zum Gegenstand und zum Ziele haben, deine Augen nur nach dem sehen und deine Ohren nur auf das hören wollen, was Ihm angehört, deine Zunge beständig von Ihm reden will, deine Hände immer etwas zu Seinem Dienste tun wollen. — Schließlich heißt es „von ganzem Gemüt“ oder eigentlich „Nachdenken“.

 

Lieben von ganzem Gemüt oder Nachdenken zielt auf die Umsicht dieser Liebe hin, um in jedem Fall die beste Weise zu treffen, dem Geliebten zu gefallen und Ihm zu dienen, was mit anderen Worten Achtgeben auf den Geschmack und das Wohlgefallen des Geliebten ist, so dass alles, was ihm gefällt, dem Liebenden immer das Richtigste, Beste und Angenehmste ist. Wenn wir es anders ausdrücken, so bedeutet dies, von keiner anderen Richtschnur als dem Wohlgefallen Gottes zu wissen. Wenn Gott etwas will oder zulässt und zuschickt, und sei mir dies auch noch so bitter, ist mir alles sofort lieb und teuer, nur weil der liebe Gott es will. Dieses muss aus freiem Trieb geschehen. Denn Lieben von ganzem Gemüt ist das Gegenteil von dem, was man auf Befehl oder aus Zwang tut.

 

Darum, wenn es dir Mühe macht und dir schwerfällt, nach Gottes Willen etwas zu tun oder zu leiden, so dass du mit einigem Widerstreben zu streiten hast, dann liebst du Gott nicht von ganzem Gemüt. Du sollst Ihn so lieben, dass alles, was Er jemals zulässt oder dir zusendet, um Seinetwillen dir immer lieb und teuer ist, wäre es an und für sich auch noch so bitter, z.B. wenn der liebste Gegenstand, den du auf Erden besitzest, dir geraubt oder dein irdisches Glück zerstört, dein guter Name oder dein guter Ruf zugrunde gerichtet wird usw. Sieh, dies alles ist an und für sich bitter, es soll dir aber wegen des Wohlgefallens deines Gottes angenehm und lieb sein, nur darum, weil Er es will.

 

Das enthalten die Worte „Gott lieben von ganzem Gemüt“. Wie kann man Gott von ganzem Gemüt lieben und dennoch nicht das lieben, was Ihm gefällt, sondern Widerwillen empfinden gegen ein Gebot, das Er gegeben, oder gegen ein Leiden, das Er gesendet hat? Liebst du nur Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt, so muss ja alles, was Ihm wohlgefällig ist, dir gleich lieb sein, mag es nun lieblich oder bitter sein, wenn nur Er es will.

 

Ich bin allein dein Gott, der Herr,

Kein’ Götter sollst du haben mehr,

Du sollst Mir ganz vertrauen dich,

Von Herzens Grunde lieben Mich,

Gebietet Gott.

 Entnommen aus dem Buch von Mag. Olof Rosenius – ‘‘Tägliches Seelenbrot‘‘

(herausgegeben von LUTH. MISSIONSVEREIN SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. http://www.rosenius.de)