Wachsamkeit und heilige Gottesfurcht

Carl Olof Rosenius

Da ihr empfinget von uns das Wort göttlicher Predigt, nahmt ihr es auf, nicht als der Menschen Wort, sondern — wie es denn wahrhaftig ist — als Gottes Wort.  1. Thess. 2, 13

Der Herr erbarme sich über die Finsternis unseres gefallenen Herzens und öffne unseren Sinn! Auch diejenigen, die nie daran zweifeln, dass das Wort Gottes Wort ist, können es oft doch nicht dafür halten, können es nicht lebendig glauben und bedenken, dass es wirklich das Wort des großen Gottes ist. Welch ein Tosen und Lärmen würde in der Welt entstehen, wenn man anfinge, das Wort Gottes für das Wort und Urteil des großen allmächtigen Schöpfers zu halten.

 

Welch ein Entsetzen, welch ein Laufen und Rennen, welch ein Forschen und Fragen nach dem Weg zur Seligkeit müsste Platz greifen, wenn man anfinge, das Wort Gottes wirklich für Gottes Wort zu halten! Welch eine Freude und Glaubenszuversicht, welch ein Jubeln und Lobsingen, welch ein Friede und welch eine Stärke in dem Herrn müssten aufbrechen, wenn alle erweckten und gläubigen Menschen das Wort Gottes recht für Gottes Wort halten könnten. Welch eine Wachsamkeit und Gottesfurcht, welch ein Beten und welch ein Fürchten vor jeder Abweichung müssten Raum gewinnen, wenn wir das Wort Gottes recht für Gottes Wort halten könnten!

Du, der du meinst, dass du es schon für Gottes Wort hältst, wie ist es möglich, dass du doch in den Sachen, von denen Gott geredet hat, so ungewiss sein kannst? Wie ist es möglich, dass du essen, trinken und schlafen kannst, während du noch nicht den Abschluss mit Gott gemacht und die Gewissheit der Vergebung deiner Sünden erhalten hast, die Gewissheit, dass du jede Stunde selig sterben kannst, wenn du das wirklich für Gottes Wort hältst, was in dem heiligen Buch von dem einzigen Weg zur Seligkeit, vom Jüngsten Gericht, vom Himmel und von der Hölle geschrieben steht? — Oder du, der du mühselig und beladen unter dem Joch der Knechtschaft einhergehst, der du aber das Zeugnis Gottes von Seinem Sohne hörst und der du glaubst, dass es Gottes Wort ist, dass Er Seinen eingeborenen Sohn zu unserer Versöhnung dahingegeben hat — der du den Sohn Gottes so gnadenreich einladen hörst: „Kommet her zu Mir alle, die ihr mühselig und beladen seid“ usw. —, wie ist es möglich, dass du immer noch in diesem kranken, sklavischen Sinn verharren kannst, wenn du alles wirklich für Gottes Wort hältst?

 

Die meisten Menschen halten das Wort Gottes nicht heilig und für wahr, nicht für Gottes Wort; das merkt man daran, dass es ihre Herzen nicht ergreift, rührt und einnimmt. Sie gehen nicht mit einer so tiefen Ehrfurcht damit um, die bald folgen würde, wenn ihr Herz wirklich glaubte und erkennte, dass es Gott ist, Gott, Herr des Himmels und der Erde, der in demselben mit ihnen redet. Wenn ein irdischer König mit uns redete, mit welcher gespannten Aufmerksamkeit und Ehrfurcht würden wir dann zuhören, so dass nicht eins seiner Worte uns entginge, vor allem wenn wir sehr von ihm und seinem Worte abhingen.

 

Wenn sein Wort zudem ein furchtbares Urteil enthielte, zum Beispiel unser eigenes Todesurteil, welches Entsetzen und welche Angst ergriffen dann unser Herz! Und warum das? Gewiss darum, weil es das entscheidende und letzte Wort des Königs ist. Wenn nun seine Worte aber eine gnadenvolle Zusage oder gar eine Freisprechung vom Tode enthielten, welche unaussprechliche Freude und welche Dankbarkeit durchströmten dann unser Herz! Und warum das?

 

Zuerst darum, weil es der König war, der es sprach; ich kann darauf bauen. Zum anderen enthielten seine Worte ja die höchste Gnade und Gabe für mich. Ja, wenn ein König mit uns redete, selbst wenn er uns keine besonders große Gnade, auch kein furchtbares Urteil zuspräche, so würden wir dennoch seine Worte so zu ehren und zu bewahren wissen, dass wir sie vielleicht unser ganzes Leben lang in frischem Andenken behalten würden, nur darum, weil es die Worte eines Königs waren.

 

Sieh nun hier, was es zur Folge haben würde, wenn wir Gottes Wort wirklich für Gottes Wort hielten. Was ist wohl ein irdischer König im Vergleich mit dem Herrn und Schöpfer, dem König aller Könige! Kann nun das Wort eines irdischen Königs uns mit so großer Furcht oder Freude erfüllen, wie viel mehr sollten die Worte des allmächtigen Gottes unsere Herzen ergreifen und sie mit Furcht oder Freude erfüllen, wenn wir Sein Wort recht für das hielten, was es ist!

 

Und können wir die Worte eines Königs so lieben, verehren und bewahren, auch wenn der Inhalt derselben ganz unbedeutend wäre, wie viel mehr sollten wir das Wort Gottes lieben, verehren und in unserem Herzen bewahren, wenn wir es wirklich für Gottes Wort hielten! Wenn wir hingegen gedankenlos und träumend mit Seinem Worte umgehen können und von dem Inhalt desselben weder erschreckt noch erquickt werden, sondern in aller Sicherheit und allem Unglauben unseren Weg fortsetzen, dann muss die Ursache sicherlich darin liegen, dass wir Gottes Wort nicht für das halten, was es ist, für das Wort des großen Gottes.

 

Ja, dieses unsichere und zweifelnde Wesen, dieses Schwanken und Schweben zwischen Glauben und Unglauben, zwischen Furcht und Hoffnung, oder dieses kalte und laue weltliche Leben.

 

Ist das alles nicht ein Beweis dafür, dass du Gottes Wort nicht recht für Gottes Wort hältst?

 

Möchten doch alle Christen diesen Punkt tief beachten! Denn hier ist der Grund aller geistlichen Schlaffheit und Halbheit im Glauben, in der Liebe und im Leben.

 

Wir halten Gottes Wort nicht heilig, glauben und bedenken nicht, dass es Gottes Wort ist.

 

Des Herrn Wort ist ew’ges Wort!

Ob auch des Himmels Bau zerfällt,

In Staub verweht die ganze Welt,

Des Herrn Wort steht ewig fest. 

Aus dem ‘‘Täglichen Seelenbrot‘‘ von Olaf Rosenius  

(herausgegeben von LUTH. MISSIONSVEREIN SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. http://www.rosenius.de)