C. O. Rosenius - Tägliches Seelenbrot

„Du kleine Herde – Fürchte dich nicht!“ 

 

Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Luk. 12, 32

 

Welch ein herrlicher Trost und welche Beruhigung für diejenigen, die das Reich Gottes suchen, dabei aber große Schwachheit fühlen und befürchten, dass sie es nicht erreichen könnten - welch ein Trost, wenn sie über die Bedeutung eines solchen Wortes des Herrn aufwachen könnten. Denn Seine Worte Fürchte dich nicht müssen ja die Verheißung enthalten, dass ER, der alle Gewalt hat, uns vorwärtshelfen wird, wie übel es für uns auch aussehen mag.

 

Aber hier muss doch genau beachtet werden, dass ER nicht zu allen Menschen ohne Unterschied redet. ER sagt ausdrücklich, wer diesen Trost haben soll. ER sagt: „Du kleine Herde“. Gewiss ist der Herr gnadenvoll gegen alle Menschen, das kann nicht anders sein; trotzdem aber sind viele in einem solchen Zustand, dass sie wirklich Grund haben, sich zu fürchten, ja das Allerärgste zu befürchten, was gedacht werden kann, dass sie nämlich geradezu verdammt werden und nie das Reich Gottes zu sehen bekommen sollen. Zu ihnen sagt der Herr nicht: „Fürchte dich nicht.“

 

Es ist darum wieder notwendig, zwischen verschiedenen Seelenzuständen zu unterscheiden, während es heute heißt, wo noch allem abgeholfen werden kann, wenn wir nur die Stimme des Herrn hören wollen.

 

Dieses Trostwort „Fürchte dich nicht“ sagt der Herr nur Seiner kleinen Herde, nur denen, die ER als Seine Schafe bezeichnet. Und bei Joh. 10 sehen wir, wie ER ganz besonders von den Schafen redet und spricht: „Ich kenne Meine Schafe und bin bekannt den Meinen.“ „Sie hören Meine Stimme und folgen Mir, und niemand wird sie aus Meiner Hand reißen!“ Und in dem Text vom Jüngsten Tag sagt ER, wie ER dann alle Menschen scheiden wird, die einen von den anderen, gleichwie ein Hirte seine Schafe von den Böcken scheidet; die Schafe wird ER zu Seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.

 

Alles läuft darauf hinaus, wie der Herr in Seinen Urteilen zwischen den verschiedenen Seelen unterscheidet.

 

ER redet überall lieblich und tröstlich zu denen, die Er Seine Schafe nennt; zu denen dagegen, die zu Seiner Linken stehen, sagt ER die schrecklichsten Worte: „Geht hin von Mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“

 

Darum, wie tröstlich und lieblich unsere Textworte auch sind, so müssen wir, um weder selber betrogen zu werden noch jemanden zu betrügen, doch beachten, dass dieser Trost nur denen gehört, die Jesus als Seine Schafe erkennt und von denen ER sagt: „Sie hören Meine Stimme, sie folgen Mir.“

 

ER sagt nicht, dass sie so gut, so treu und so stark sind, wie sie sein sollten, am allerwenigsten sagt ER, dass sie sündenfreie Heilige seien.

 

Nein, wohl sind sie Sünder, wie sie selber bitterlich beklagen. Aber während die ganze Welt frei nach der Lust und den Gedanken des eigenen Herzens lebt, werden sie als Jesu Schafe trotz aller ihrer Gebrechen doch von Seiner Stimme geleitet und fragen unausgesetzt nach Seinem Wort und Seinem Wohlgefallen. Sie hangen Ihm an, werden von Seinem Wort gestraft und gezüchtigt, von ebendiesem Wort aber auch getröstet und durch das ganze Leben getreulich geleitet.

 

Du, der du gern ein rechter Christ sein willst und der du den Heiland und Sein Evangelium nicht entbehren kannst, aber unter so vielen ungebührlichen Sünden leidest, so dass du befürchtest, das Reich Gottes nie zu sehen zu bekommen, und der du oft nahe daran bist, ganz zu verzweifeln und alles fahren zu lassen, durch eine besondere Gnade Gottes aber noch immer an deinem Heiland hängst und Ihn und das ewige Leben nicht ganz verlassen kannst - höre, was der Herr in unserem Texte spricht, der Herr, der zuletzt am Jüngsten Tage alle richten wird, der einzige, den wir zu fragen haben. Denn wem sollte ich glauben, wenn nicht Ihm?

 

Und ER sagt nun hier: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“

 

Höre, welch ein fester Grund für unseren Trost dieses „eures Vaters Wohlgefallen“ ist. Hier werden unser Trost und unsere Hoffnung wieder nur auf Gottes eigenen guten, majestätischen Willen und Sein freies Geben gegründet. Darum glaube gewiss, dass dies auch der einzige Grund ist.

 

Sobald du nur eins der Schafe seiner kleinen Herde bist, so gibt ER dir das Reich.

 

Das war das freie Wohlgefallen des Vaters.

 

Denn „ER hat uns verordnet zur Kindschaft gegen (für) sich selbst durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen Seines Willens.“

 

Und was ist nun der Wille und das Wohlgefallen des ewigen Vaters? So spricht der Herr: „Dass ER euch das Reich gebe“. Welchen will ER das Reich geben? Euch, die ihr die kleine Herde seid, voller Gebrechen im Glauben, im Gehorsam, im Mut und im Verständnis. Deshalb will ER euch das Reich als ein freies Geschenk, als eine freie Gabe geben. „Denn aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben, und dasselbe nicht aus euch; Gottes Gabe ist es.“

 

Eine Gabe ist es!

 

„Nicht aus den Werken, auf dass sich nicht jemand rühme“. Denn gerade deshalb gibt ER es denen, die eine kleine Herde sind, nicht aber den Starken und Mutigen, wenn auch diese letzteren hinsichtlich der Werke weniger zu bereuen und zu beweinen haben. „Denn ist es aus Gnaden, so ist es nicht aus Verdienst der Werke; sonst würde Gnade nicht Gnade sein.“

 

Und nun ist es des Vaters Wohlgefallen, dass ER, während wir wirklich alle Sünder sind, das Reich denen geben will, die ihre Sünden erkennen, Gnade suchen und im Glauben leben.

 

Wohlan, nun hat es keine Not,

Kommt her, ihr armen Herden!

Kauft Wein und Wasser, Milch und Brot;

Der Mann bezahlt’s, der weiß und rot; 

Umsonst soll alles werden.

 

Aus ‘‘Tägliches Seelenbrot‘‘ Andacht zum 30. Oktober von Carl Olaf Rosenius    

 

(herausgegeben von LUTH. MISSIONSVEREIN SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. http://www.rosenius.de)