Der alte Mann und der zeitgemäße Gottesdienst

 

Rolf Müller

 

Oft klagen junge Leute: „Bei uns im Gottesdienst ist nichts los! Da ist alles wie vor 100 Jahren!" Und die Verantwortlichen reagieren. Sie versuchen zunächst den Unterhaltungswert des Gottes-dienstes zu erhöhen. Dadurch wird die Gemeinde zu einer „offenen Gesellschaft“. Alle Türen und alle Fenster stehen sperrangelweit offen. Es zieht.

 

Der alte Mann fragt sich, ob wir noch das auserwählte Geschlecht und königliche Priestertum sind (1.Petrus 2,9). Denn dann müssten wir uns allem verschließen, was Gott missfällt. Dann dürfen wir auch nicht den Eindruck erwecken, dass wir Dinge wie Sünde, Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit nicht ernst nehmen. Wenn wir das beherzigen, brauchen wir uns um die „Gottesdienstgestaltung“ keine Sorgen zu machen. Dann müssen wir auch keine von Zuschauerquoten gehetzte Leute mehr sein. Dann wird jeder Gottesdienst zu einer Familien-Feier. Dann sind wir Kinder, die sich über alles freuen, was ihnen ihr Vater im Himmel gibt.

 

Dem alten Mann wird vorgehalten, dass eine solche Einstellung nicht mehr „zeitgemäß“ sei. Was ist „zeitgemäß“? Der alte Mann dachte, „zeitgemäß“ sei die typische Erscheinung einer bestimmten Zeit. Aber das stimmt nicht. „Zeitgemäß“ hat heute die Bedeutung von modern und nicht angestaubt. Man spricht von „zeitgemäßer“ Musik und Malerei. Aber was ist „zeitgemäßer“ Gottesdienst?

 

Der alte Mann hat solche Gottesdienste miterlebt. Er überlegt heute noch, was daran denn so „zeitgemäß“ war. Statt von der Kanzel sprach man von einem Notenständer aus. Statt Orgel spielte eine Band. Statt aus einem Liederbuch sangen wir aus Liedblättern und lasen die Texte mithilfe eines Projektors von einer Leinwand ab. Es war alles leger und locker. Aber was war daran „zeitgemäß“? Wer bestimmt, was welcher Zeit gemäß ist? Ist denn ein unkonventioneller Gottesdienst gleich „zeitge-mäßer“? Oder ist es nur ein Modetrend?

 

Dem alten Mann kommt es so vor, als wolle man ein vom Einsturz bedrohtes Haus durch Umstellen der Möbel retten.

 

Unser Zeugnis von Jesus Christus wird nicht wirksamer, wenn wir uns der Welt anpassen und ihre Torheiten nachahmen. Gerade der Kontrast zur Welt macht eine Gemeinde anziehend.

 

Der alte Mann weiß, dass auch durch moderne „zeitgemäße“ Musik die gute Botschaft des Evangeliums vermittelt werden kann. Auch die guten alten Glaubenslieder waren einmal neu und wurden kritisiert. Es liegt dem alten Mann fern, alles Neue abzulehnen und alles Alte zu glorifizieren. Er möchte aber auch nicht Gefahr laufen, jede neue Mode mit Fortschritt zu verwechseln und für einen kreativen Wandel zu halten.

 

Keine Gemeinde kann es sich leisten, zu einem Museum zu werden. Genauso wenig können wir es uns erlauben, dass wir uns wie ein Chamäleon allen Strömungen der Zeit anpassen. Da ist Weisheit gefragt.

Unser christlicher Dienst für die Menschen ist einesteils zeitlos, andererseits aber auch sehr zeitspezifisch. Wir sind die getreuen Haushalter, die aus ihrem Schatz „Altes und Neues hervorbringen“ (Matth.13, 52).

 

Der alte Mann rät, das Wort „zeitgemäß“ nicht gedankenlos zu verwenden. Es gilt, zwischen wahrem Fortschritt und zwischen belanglosen Modetrends zu unterscheiden.

Die junge Generation erwartet von den älteren Geschwistern, dass sie ihre Ausdrucksformen der Anbetung akzeptieren. Dann sollten aber zugleich die jungen Menschen das geistliche Erbe schätzen, das uns Älteren so ans Herz gewachsen ist.

 

Aus gutgemeinten Gründen will man der Welt auf Augenhöhe begegnen. Man lässt außer Acht, dass nur der Geist Gottes durch das Wort Gottes Erkenntnis von Schuld und Sünde geben kann. Wir sollen treu sein, nicht erfolgreich. Unser ständiges Bemühen, attraktiv für die Welt und „zeitgemäß“ zu sein, macht müde. Es ist Jesus Christus selbst, der durch sein Wort Frucht schafft. Wir brauchen Gemeinden, die sich des Evangeliums nicht schämen. Wir brauchen Vertrauen, dass der souveräne Gott durch sein Wort rettet und nicht durch unsere „zeitgemäßen“ Erfolgsmethoden.