Das Sinai-Kloster

Man schreibt das Jahr 1844.

Eine Karawane bewegt sich langsam zwischen Sandhügeln und Dornsträuchern durch eine unwegsame Wüste.

Die Karawanenführer, zwei Araber, sind schwer bewaffnet, denn verschiedene Beduinenstämme bekämpfen sich seit einger Zeit. Dicht hinter ihnen reitet ein Europäer. Sucht dieser Mann Abenteuer in der lebensgefährlichen Wüste der Halbinsel Sinai?

 

Nein, Graf von Tischendorf aus Leipzig hat nur ein Ziel: Er will zu dem Kloster auf dem Berg Sinai. Von Ägypten her reist er mit einer Karawane, denn er hat gehört, dass hier sehr alte Bibel-Handschriften sein sollen.

 

Selbstverständlich steht der Grundtext des Alten Testaments schon seit Jahrhunderten fest und auch vom Neuen Testament sind schon Hunderte von alten Handschriften gefunden worden. Einige von ihnen stammen aus dem vierten Jahrhundert nach Christus. Tischendorf hatte sie alle untersucht; aber er suchte eine, die noch älter, noch näher am ursprünglichen von den Aposteln geschriebenen Text war.

 

Eigentlich ging es ihm nur um einige Worte von geringer Bedeutung, über die er aber mehr Sicherheit haben wollte. Und er ruhte nicht, bevor er sie gefunden hatte.

 

Endlich erreichte er das Kloster. Er wird in einem Korb zu dem hoch gelegenen Eingang emporgezogen, der besonders schwer zugänglich gemacht wurde, um unerwünschte Besucher fern halten zu können. Jetzt darf er unter den Mönchen verweilen und in der großen Bibliothek alles nach Herzenslust durchsehen.

 

Wochenlang ist er schon an der Arbeit, aber er findet nichts, was ihn interessiert. Sollte die lange Reise vergeblich sein?

Da, endlich, kurz vor seiner Heimreise findet er in einem Papierkorb einige Pergamente, mit prächtiger Handschrift beschrieben, so schön und so sauber, wie er es noch nie gesehen hat. Diese Kopie ist so alt, dass sie kurz nach den Tagen der Apostel geschrieben sein muss, vielleicht ist sie unmittelbar nach den Originalen der Bibelschreiber geschrieben worden.

 

Bei einem folgenden Besuch im Jahr 1859, nach geduldigem und fleißigem Suchen, findet er dann in einer Zelle verborgen den Rest dieses Textes (oder Codex). Das Ganze besteht aus 346 Seiten. Jede Seite ist ein Vermögen wert.

 

Eine richtige Übersetzung des Neuen Testaments war gewährleistet.

 

Tischendorf hatte die Möglichkeit, alles mitzunehmen und es war sein vornehmstes Lebenswerk, alles in Druck zu geben, so dass jeder, der will, es studieren kann.,

Man nennt diese Handschrift Codex Sinaiticus, weil sie am Sinai gefunden wurde. Sie wird bis heute im Britischen Museum in London aufbewahrt und ausgestellt.

aus dem Traktat "Ein Brief für dich" VdHS