Der alte Mann und der Vorteil

 

Rolf Müller

 

Wir finden heute oft eine ichbezogene Glaubenshaltung. Wir folgen Jesus nicht ohne Hintergedanken nach. Wir prüfen, ob es uns einen persönlichen Vorteil bringt.

 

Der alte Mann erinnert daran, dass der Sohn Gottes völlig selbstlos sein Leben hingab für uns. „Ein jeder sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war.“ Viele fragen heute danach, was ihnen der Glaube bringt. „Was habe ich davon?“

 

Der alte Mann stellt fest, dass die Bereitschaft, feste Aufgaben in der Gemeinde zu übernehmen, abnimmt. Für zeitlich begrenzte Dienste finden sich eher Leute, vorausgesetzt, es macht Spaß. Auf längere Zeit ist kaum noch jemand bereit, sich einzubringen. Es fehlen Mitarbeiter. Eine oftmals egoistisch geprägte „Gabentheologie“ hat diesen Zustand noch verstärkt.

 

Ein weiteres Symptom ist für den alten Mann der Bereich des christlichen Liedgutes. Auf keinem anderen Gebiet gibt es so viel Streit und Uneinigkeit. Man kann sich nicht auf eine ausgewogene Haltung einigen. Längst haben erweckliche und streitbare Glaubenslieder ihre Anziehungskraft verloren. Sie werden in die „Mottenkiste“ verbannt und durch oft seichte, leichtverdauliche  Wohlfühlsongs ersetzt. Des schwachen Inhalts wegen werden bei diesen Chorussen viele Textzeilen gleich mehrfach wiederholt.

Dem alten Mann wurde erklärt, die von vielen Generationen von Christen gesungenen alten Glaubenslieder hätten heute ausgedient. Es sei endlich Zeit für Neues.

 

Der alte Mann fragt sich, ob die uralten Texte der Bibel heute auch ersetzt werden müssen? Es gibt gute neuere Glaubenslieder, die den christlichen Liederschatz bereichern und es gibt alte Lieder, die noch genau so aktuell sind wie zur Zeit ihrer Entstehung. Ist es wirklich geboten, sich in der Gemeinde wegen des Liedguts zu zerstreiten?

 

Dem alten Mann fällt auf, dass heute ein erlebnisorientiertes Christentum dominiert. Man möchte die spürbare Gegenwart Jesu erleben. Man möchte seine Macht bis in den körperlichen Bereich hinein spüren. Sein Wort genügt nicht. Aber ein Glaube, der sich auf Erlebnisse stützt, steht auf wackligen Beinen. Er zerbricht in der Krise. Wenn Erlebnisse im Vordergrund stehen, wird der Blick auf Jesus verstellt. Der alte Mann kennt Christen, die von einem Kongress zum anderen reisen. Sie brauchen immer neue und immer stärkere Impulse. Sie verlieren schließlich die Orientierung und werden kraftlos. Das Wort Gottes erscheint ihnen lästig. Sie wollen nur noch ihren Erlebnishunger befriedigen.

 

Die Frage muss doch erlaubt sein, ob wirklich alles geistlich ist, was auf dem Markt der Möglichkeiten angeboten wird. Viele Christen neigen dazu, ihre Lebensträume mit ein paar herrlichen Glaubenserlebnissen aufzufüllen.

 

Das ist einer der Gründe, warum es in vielen Gemeinden schwer ist, treue Mitarbeiter zu finden. Man verspricht sich nichts davon, seine Zeit für die Gemeindearbeit einzusetzen. Man hat so viele Dinge zu erledigen, die wichtiger sind als der Dienst für den Herrn.

 

Das Problem ist, wir wollen im Glauben leben, aber gleichzeitig nicht auf die Vorteile der  Wohlstandsgesellschaft im Leben verzichten. Dabei stehen wir in der Gefahr, Jesus mit einem geteilten Herzen zu folgen. Wir müssen aufpassen, dass wir dann nicht bald mit ganzem Herzen ganz woanders landen. Halbherzigkeit ist gefährlich. „Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Mit dem Kreuz tun wir uns oft schwer. Es gibt so viele offene Fragen. Was habe ich vom Christsein, wenn ich vom Leid nicht verschont bleibe? Was habe ich davon? Da kann ich ja gleich meinen Glauben an den Nagel hängen und aufgeben. Es bringt mir ja nichts.

 

Der alte Mann kann gute Gründe anführen, warum er trotzdem an Jesus festhält und warum er seinen Glauben nicht aufgibt. Der Glaube an Jesus Christus hilft ihm in schweren Stunden getrost zu sein und Hindernisse zu überwinden. Gerade im dunklen Tal erfährt er in besonderer Weise die Nähe Jesu. Der Vorteil eines Christen liegt nicht immer im irdischen, doch stattdessen überwiegend im geistlichen Bereich.

 

Im sichern Schatten deiner Flügel

find ich die ungestörte Ruh.

Der feste Grund hat dieses Siegel:

Wer dein ist, Herr, den kennest du.

Lass Erd und Himmel untergehn,

dies Wort der Wahrheit bleibet stehn.

 

(Johann Gottfried Herrmann)