Lobgesang
2.Mo.15,2: Der Herr ist meine Stärke und mein Lobgesang und ist mein Heil.
Lk.1,51: Gewaltiges hat er vollbracht mit seinem Arm, zerstreut hat er, die hochmütig sind in ihren Herzen.
Die Formulierung „Der Herr ist mein Lobgesang“ ist mir so noch nie aufgefallen. Man könnte es auch nicht besser auf den Punkt bringen, als Miriam es hier tut. Er selbst – seine Person, sein Wesen, seine Taten – sind das Fundament, das Zentrum und der gesamte Umfang des Lobgesangs. Den sogenannten Lobpreis, den wir heute zugemutet kriegen, sollte man dringend mal auf falsche Selbstbezogenheit untersuchen.
Als Jesaja versucht, in den Tempel einzutreten, wird er von der bloßen Gegenwart der Herrlichkeit Gottes fast rückwärts wieder rausgeschoben. Das beschreibt m.E. sehr präzise, welchen Beitrag auch ich zum Lobpreis Gottes zu bringen habe. Daß ich als Sünder nicht tot umfalle, sobald ich ein Liederbuch zur Hand nehme, ist schon nur durch seine Gnade begründet.
Miriam war gerade trockenen Fußes durchs Rote Meer gegangen und sah hinter sich die Ägypter absaufen. Aus der Macht Gottes, zu retten und zu richten, folgt: „Der Herr ist mein Heil“. Aus der erwiesenen Rettung Gottes folgt: „Der Herr ist mein Lobgesang“. Beim Blick auf ihre trockenen Füße und die toten Ägypter hätte Miriam auch singen können: „Nichts hab ich zu bringen, alles, Herr, bist du“.
Maria hatte gerade eine Nachricht erhalten, die im damaligen Kontext das Ende Ihres Lebens darstellte. In ihrem Magnificat dreht sich dann aber nichts um ihre Nöte, Ängste oder Befürchtungen, sondern alles um Gott. Sie bezieht nichts auf sich, sie schildert Gottes Taten. Das macht ihn groß und sie fest.
Natürlich hat Winrich Scheffbuch recht, wenn er klarstellt, daß auch die Klagepsalmen tiefe Anbetung Gottes sind. Aber gerade bei den Klagepsalmen ist es wichtig zu beachten, wie sie zur Auflösung kommen: Die Eigendrehung hört auf, indem der Psalmist Gott in den Blick nimmt. Am Eindrucksvollsten ist mir immer Ps 73 wegen dieses einen Schritts, der aber alles entscheidet: … Bis ich in Gottes Heiligtum ging …
Für Maria war Gott mit seinen Plänen eine einzige Zumutung, ja sogar eine konkrete Lebensgefahr. Wir erfahren davon aber nichts, weil Maria und, ihr folgend, die Evangelisten es völlig anders werten. Maria hatte in ihren jungen Jahren schon die geistliche Reife oder das Geschenk des Geistes Gottes, sich erst gar nicht in eine Eigendrehung zu begeben. Sie geht direkt in die Drehung um Gott. Was sie zu erwarten hat, ändert sich erstmal nicht. Aber aus wessen Hand es kommt, also wen sie zu erwarten hat, wird zum alles entscheidenden Zentrum ihres Nachdenkens. So gesehen, ist sie dann schon fast wieder beneidenswert.
Gedanken und Auslegung von Bruder Jens Döhling 4.5.2025
16_Doehling_Lobgesang (2.5.2025)