Der alte Mann und die Charismatik

 

Rolf Müller

 

Im Gesprächskreis zu diesem Thema ging es hoch her. Es gab verschiedene Meinungen und heftige Diskussionen. Es ging weniger um biblische Argumente, aber umso mehr um persönliche Ansichten. Es wurde festgestellt, dass die Gemeinden heute wenig Ausstrahlung nach außen haben. Es fehle die geistliche Vollmacht.

 

Der alte Mann muss zugeben, dass diese Vorwürfe nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Wäre es da vielleicht ein Weg, sich den charismatischen Geist in die Gemeinde zu holen? Wäre das eine Möglichkeit, die oftmals „eingefahrenen Gleise“ zu verlassen? Würde das der Gemeinde dazu helfen, dass richtig „die Post abgeht“? Würden dann die Besucherzahlen automatisch steigen?

 

Der alte Mann gehört als Glied am Leib Christi zu seiner Gemeinde. Wenn ein Glied leidet, dann leiden alle Glieder mit. Wenn Mängel in der Gemeinde sichtbar werden, müssen sie angesprochen werden. Man ist ja kein unbeteiligter Zuschauer, sondern man ist betroffen. Jeder ist mitverantwortlich für den Zustand seiner Gemeinde.

 

Dem alten Mann ist klar, dass Mängel in der Gemeinde nicht durch spektakuläre Zeichen und Wunder aufgehoben werden können. Das muss durch Buße und neuen Gehorsam der einzelnen Glieder geschehen. Ob es dem Leib gut geht, das liegt auch an den Gliedern. Da sind keine sensationellen Aktionen gefragt. Erneuerung geht immer über Buße und Zerbruch des Einzelnen.

 

Die Frage für den alten Mann ist, ob die außergewöhnlichen Phänomene, die in manchen charismatischen Gemeinden auftreten, wirklich vom Heiligen Geist gewirkt sind. Da treten Männer auf, die Jesus gesehen haben. Sie tun apostolische Zeichen und Wunder. Das hat es seit dem 1. Jahrhundert nicht mehr gegeben. Wie kann man das biblisch einordnen?

 

Nach 2. Thessalonicher 2,9 wird es tatsächlich in der Endzeit die Kräfte der Urgemeinde wieder geben. Es werden die gleichen Begriffe verwendet wie in Hebräer 2,4. Der Unterschied: Im Hebräerbrief heißt es „aus Gott“, im Thessalonicherbrief „aus Satan“. Auch Satan ist in der Lage, Wunder zu tun.  Das sind aber keine göttlichen Wunder, sondern „lügenhafte Zeichen“. Sie dienen nicht dazu, Menschen zu Jesus zu führen. Sie führen vom Kreuz weg, vom Glauben zum Schauen, vom Unsichtbaren zum Sichtbaren. Sie führen weg vom Wort Gottes hin zum Bild, weg vom Hören zum Sehen.

 

Ein bekannter charismatischer „Prophet“ sagte voraus: „Engelerscheinungen werden in den Versammlungen zum Normalfall gehören. Der Herr selbst wird vielen erscheinen. Heilungen werden so selbstverständlich sein, dass auch Kinder in der Lage sein werden, sie regelmäßig durchzuführen. Sogar Auferweckungen vom Tod werden zum Allgemeingut werden. Amputierte Glieder werden nachwachsen, wenn das Licht aus der Hand des Evangelisten sie trifft.“

 

Was sagt die Bibel zu diesem gewaltigen Dammbruch des Übernatürlichen? Alle Welt steht mit offenem Mund da und bestaunt die Heilungswunder. Das Sichtbare wird in den Vordergrund gerückt. Das Ewige wird vernachlässigt. Zinzendorf dichtete einst: „Mir ist nicht um tausend Welten, aber um dein Wort zu tun.“ Heute hat der alte Mann den Eindruck, dass es um tausend Welten, aber kaum noch um das Wort geht.

 

Die charismatische Bewegung setzt Krankheit mit Mangel an Glauben gleich. Wer krank ist, glaubt nicht genug. Es werden falsche Erwartungen geschürt. Ein Teilnehmer eines Heilungskongresses zog das Fazit: „Die Lahmen konnten nicht gehen und die Sehenden wurden blind.“

Der Geist  der charismatischen Bewegung fördert Spaltung. Auf der anderen Seite vereint er, was nicht zusammengehört. Er wird zum Bindeglied zwischen evangelischer und katholischer Kirche. Er beeinträchtigt das Unterscheidungsvermögen. Sein Credo heißt Toleranz. Alles soll akzeptiert werden. Das geistliche Immunsystem funktioniert nicht mehr. Wir sind nicht mehr in der Lage, was uns zerstört, abzuwehren. Die von der Bibel angemahnte Wachsamkeit ist abhandengekommen. Das sollte uns hellhörig machen.

 

Unsere Basis ist Gottes Wort. Darauf müssen wir uns gründen. Unser Glaubensweg läuft nicht übers Auge, sondern übers Wort. „Wer Ohren hat, zu hören, der höre.“, nicht „wer Augen hat, der sehe!“ Wir brauchen eine ungebrochene Stellung zur Bibel!