Der alte Mann und die Tradition

 

Rolf Müller

 

Das Wort Tradition hat oft einen negativen Beigeschmack. Man denkt an sich immer wiederholende Ereignisse. Junge Menschen denken nicht so gern an vergangene Zeiten. Sie sind nach vorn orientiert und für alles Neue und Moderne offen. 

 

Dem alten Mann ist bekannt, dass es Traditionen und Gewohnheiten gibt, die man besser heute als morgen abschaffen sollte. Sie haben weder mit der Bibel noch mit  gesundem Menschenverstand viel zu tun. Allerdings gibt es auch Traditionen, die gut und hilfreich sind. Das Wort Gottes berichtet davon. 

Lukas 2,27+42 erzählt, dass Jesus mit seinen Eltern jedes Jahr nach Jerusalem zum Passahfest ging. Eltern können ihre Kinder an gute Gewohnheiten gewöhnen. 

 

„Und er (Jesus) ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge“ (Lukas 4,16). Der Herr Jesus ging an jedem Sabbat in die Synagoge, um Gottes Wort zu hören. Hatte er das nötig? Er war doch selber das Wort Gottes. Konnte er noch etwas lernen? Der Herr Jesus war von Jugend an gewohnt, dort zu sein, wo sich das Volk Gottes unter dem Wort Gottes versammelte. Dem alten Mann fällt auf, dass der Herr den Besuch der Synagoge nicht von bekannten und begabten Rabbis abhängig machte. Er ließ sich nicht von Äußerlichkeiten beeinflussen, wie es heute oft der Fall ist. Wir als Nachfolger Jesu sollten uns diese Gewohnheit ebenso zur Regel machen. 

 

Der regelmäßige Besuch des Gottesdienstes sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Das ist selten geworden. Das hängt heute oft von den Umständen und von Lust und Laune ab. Müdigkeit, Unwohlsein, Tante Helgas Geburtstag, der Garten oder ein interessanter Film im Fernsehen sind für viele Grund genug, der Versammlung fern zu bleiben. Da kann man nicht in den Gottesdienst kommen. 

Die meisten dieser Ausreden sind fadenscheinig. Sie zeugen von einer Geringschätzung Gottes und der Glaubensgeschwister. Wenn wir aus nichtigen Gründen die Versammlung versäumen, läuft in unserem Glaubensleben einiges falsch. Eine aus Liebe motivierte Gewohnheit sollte unser Christsein verbindlich machen. 

 

Der alte Mann möchte auf eine weitere Gewohnheit des Herrn Jesus aufmerksam machen. Er pflegte ein regelmäßiges und diszipliniertes Gebetsleben. Wenn das der Sohn Gottes tat, sollten wir dann nicht umso mehr darauf achten, unsere stille Zeit nicht zu vernachlässigen? Wir werden morgens kaum ungekämmt, ungewaschen und ohne Frühstück das Haus verlassen. Aber in unserem geistlichen Leben glauben wir ohne Reinigung und Nahrung in den Tag gehen zu können. Das ist vermessen. 

Dem alten Mann fehlt manchmal die Lust zum Bibellesen. Er ist versucht, zu denken: Wenn ich die Bibel nur aus Pflichtgefühl lese, bringt es nichts. Also lasse ich es sein. Aber wir dürfen uns nicht abhängig machen und warten, bis ein Impuls kommt. Es ist besser, festen Prinzipien zu folgen. 

 

Es gibt gute und richtige Traditionen. Jeder Christ sollte die feste Gewohnheit haben, treu seine Bibel zu lesen und zu beten. Das hat nichts mit unnüchternen Vorsätzen und Kraftakten zu tun. Das geistliche Leben kommt aus dem Wort. 

„Wortlosigkeit führt zu Gottlosigkeit.“ 

 

Der alte Mann kommt beim Bibellesen an manches Kapitel, das er nicht versteht. Daran erkennt er seine Dummheit und geistliche Blindheit. Aber er wird nicht müde. Er liest weiter. Was heute nicht klar ist, kann morgen verständlich werden. Es ist der Geist Gottes, der nach und nach in alle Wahrheit leitet. 

 

Von Gott will ich nicht lassen,  

denn er lässt nicht von mir,

führt mich durch alle Straßen,  

da ich sonst irrte sehr. 

 

Er reicht mir seine Hand,

den Abend und den Morgen    

tut er mich wohl versorgen, 

wo ich auch sei im Land. 

 

Auf ihn will ich vertrauen    

in meiner schweren Zeit;  

es kann mich nicht gereuen, 

er wendet alles Leid. 

 

Ihm sei es heimgestellt; 

mein Leib, mein Seel, mein Leben  

sei Gott, dem Herrn, ergeben; 

er schaffs wies ihm gefällt. 

 

(Ludwig Helmbold).