Der alte Mann und Onesiphorus

(2. Tim. 1, 13 -18)

 

Rolf Müller

 

Wir haben in der Bibel das „Bild gesunder Worte“. Das lebendige Gotteswort ist Autorität für jedes Kind Gottes. Die Bibel bildet ein vollkommenes Ganzes. Nur wer das Ganze im Auge behält, kann das Bild gesunder Worte haben. Wer sich nur mit ihm wichtigen „Hauptwahrheiten“ beschäftigt, erhält sein eigenes Bild, aber nicht das Bild gesunder Worte.

 

Timotheus wird von Paulus ermahnt, genau an den Formulierungen festzuhalten, durch die die Wahrheit weiter gegeben wurde. Dem alten Mann wurde gesagt, man müsse in unseren Tagen Ausdrücke wie „wiedergeboren werden“ oder „das Blut Jesu“ fallen lassen. Man müsse sich heute einer gebildeteren und zeitgemäßen Sprache bedienen.

 

Das birgt allerdings eine unterschwellige Gefahr in sich. Wenn wir die schriftgemäße Art der Formulierung fallen lassen, dann lassen wir damit oft gleichzeitig die Wahrheiten fallen, die durch  diese ganz bestimmten  Formulierungen ausgedrückt werden. Timotheus soll deshalb das Bild gesunder Worte festhalten.

 

Das schöne anvertraute Gut, von dem Paulus schreibt, ist das Evangelium. Die Gemeinde stand zu allen Zeiten in der Gefahr, vom Evangelium abzuweichen. Die Angriffe auf den christlichen Glauben kommen aus verschiedenen Richtungen. Paulus ermahnt den Timotheus, treu zum Wort Gottes zu stehen.

 

Paulus sitzt im Gefängnis. Viele Christen haben ihre Verbindung zu Paulus gelöst. Sie haben ihn im Stich gelassen. Sie verließen ihn zu einer Zeit, wo er sie am meisten gebraucht hätte. Sie fürchteten um ihre eigene Sicherheit. Sie handelten feige und untreu. Sie ließen Paulus in seiner Krisensituation allein.

 

Eine schöne Ausnahme war Onesiphorus. Er hat den Paulus in seiner schweren Zeit erquickt. Vielleicht brachte er ihm Nahrung und Kleidung ins Gefängnis. Er schämte sich nicht, Paulus im Gefängnis zu besuchen. Er half ihm, als er in Not war. Paulus schreibt: „Er hat sich meiner Ketten nicht geschämt.“ Die Ketten eines Menschen verkleinern oft den Kreis seiner Freunde.

 

Für die Christen damals war die Gefangenschaft des Paulus eine anstößige Tatsache, deren sie sich schämten. Onesiphorus schämte sich nicht. Er hätte sich leicht entschuldigen können, dass es unmöglich sei, in der großen Stadt Rom einen Gefangenen ausfindig zu machen. Onesiphorus suchte so lange, bis er ihn fand. Das nennt man wahre Bruderliebe.

 

Onesiphorus hätte jeden Kontakt mit den Christen in Rom vermeiden können. Dann wäre er auf der sicheren Seite gewesen. Oder er hätte sich heimlich mit ihnen treffen können. Stattdessen setzte er sich selber der Gefahr aus, indem er Paulus im Gefängnis besuchte. Wie hätten wir wohl gehandelt?

 

Der Apostel Paulus betet, dass dieser treue Freund „Barmherzigkeit finde an jenem Tag“. Barmherzigkeit ist hier im Sinn von Belohnung gemeint. „Jener Tag“ ist die Zeit, zu der den Gläubigen ihre Belohnung gegeben wird. Das geschieht beim Preisrichterstuhl Christi. „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.“ „Alle“, das sind alle Gläubigen. Dort geht es nicht um Errettung oder Verdammnis, sondern um Belohnung.

 

Wir stolzen Menschenkinder  

sind eitel arme Sünder  

und wissen gar nicht viel. 

Wir spinnen Luftgespinste   

und suchen viele Künste  

und kommen weiter von dem Ziel.

 

Gott, lass dein Heil uns schauen,  

auf nichts Vergänglichs trauen, 

nicht Eitelkeit uns freun;  

lass uns einfältig werden 

und vor dir hier auf Erden  

wie Kinder fromm und fröhlich sein.

 

Wollst endlich sonder Grämen  

aus dieser Welt uns nehmen

durch einen sanften Tod;  

und wenn du uns genommen,  

lass uns in Himmel kommen,  

du unser Herr und unser Gott.

 

(Matthias Claudius)