Gott wird Mensch in Jesus Christus

Das Wort ward FleischJoh. 1,14

 

Das Wort, das ewige Wort ward Fleisch. Gottes ewiger Sohn wird Mensch, wirklicher Mensch, nur nicht ein sündiger, sondern ein reiner Mensch, geboren von einer Frau. Wer von einer wahren, natürlichen Frau geboren wird, der muss auch ein wahrer, wirklicher Mensch sein. So ist auch Gottes ewiger Sohn ein Glied unseres Geschlechts, so dass Sein Stamm und Seine Vorfahren unter die Nachkommen Adams gezählt werden, wie es das erste Blatt des Neuen Testamentes zeigt. Gottes Sohn ist unser Verwandter, unser Blutsverwandter, den Brüdern gleich, die Sünde ausgenommen. Unbegreifliche Liebe Gottes, die einen so wunderbaren und so gnadenvollen Ratschluss zu unserer Errettung fasste!

 

Aber hier wird es vor den Augen der Vernunft schwarz. Gottes ewiger Sohn unser Blutsverwandter, unser Bruder! Ist es wahr? Ist es möglich? Ich beginne und ich schließe, und ich beginne wieder mit diesem Punkt. Ist es wahr? Ist es möglich? Ich kann es nicht begreifen, kann aber auch nicht davon wegkommen. Meine Gedanken werden gleichsam in ein Netz ewiger Unbegreiflichkeiten, zugleich aber auch in ein Netz unwiderleglicher Zeugnisse eingeschnürt. Die Frage hat ein solches Gewicht, dass mit ihr das ganze Christentum steht oder fällt und damit zugleich auch unsere ganze Errettung und Seligkeit.

 

Einerseits ist es viel zu groß und zu herrlich, dass wir armen, gefallenen Menschenkinder so hoch geschätzt und geehrt sein sollten, dass Gottes ewiger Sohn unser Bruder und Blutsverwandter sein soll - viel zu groß und herrlich, so dass ich es wegen seiner Größe nicht glauben kann. Andererseits ist mir dieser Stein des Anstoßes zu schwer, um ihn wegwerfen zu können. Es steht eine Welt voller Zeugnisse da, die auf Ihn deuten; zuerst ein ganzes Weltalter der merkwürdigsten Vorhersagungen, sodann ein nachfolgendes Weltalter der merkwürdigsten Erfüllungen und der wunderbarsten pünktlichen Vollziehungen alles dessen, was vorhergesagt wurde. Kann ich die Person wegwerfen, die der Gegenstand dieser Voraussagungen und Erfüllungen ist? Den Stein, der von den Bauleuten verworfen wurde, den Gott aber zu einem Eckstein machte, - sollte ich versuchen, den wegzuwerfen? Oder kann ich auch nur das verwerfen, was ich heute von Seinem Reich auf Erden sehe? Ja, kann ich alles das verwerfen, was ich selber von diesem getreuen Herrn erfahren habe? O nein! Er ist ein lebendiger und gegenwärtiger Gott, wir kennen Ihn ja, - doch nur als offenbart im Fleisch, denn niemand kennt den Vater, denn nur der Sohn.

 

Kann ich aber andererseits all das Große und Herrliche glauben, was darin liegt, dass Gott offenbart ist im Fleisch? Das ist doch allzu groß und herrlich!

 

Und doch ist es eine ewige und göttliche Wahrheit, die ebenso gewiss und göttlich ist, wenn auch die Vernunft aller Menschen daran zerschellt. Ja, Gott sei Dank, dass wir sie nicht begreifen können, d.h. dass wir nicht einen so kleinen Gott haben, dem unsere arme, blinde Vernunft folgen könnte! Gott bewahre uns davor, einen Gott zu haben, der nicht unseren Verstand übersteigen würde!

 

Dass das arme, gefallene und enge Herz diesen unaussprechlichen Schatz und diese unbeschreibliche Freude aber nicht behalten kann, das ist doch eine Plage, derentwegen man sich eine baldige Erlösung wünschen kann. Könnte ich diese große Herrlichkeit nur lebendig in meinem Herzen behalten, dass Gottes ewiger Sohn unser Blutsverwandter, unser Bruder ist, dann wollte ich nichts mehr, dann hätte ich für Zeit und Ewigkeit genug. Denn dann würde ich solche Schlüsse aus diesem seligen Verhältnis ziehen, dass kein einziger trauriger Gedanke mehr Raum bekommen könnte. Mein armes Herz würde wohl eher vor allzu großer Freude und Wonne brechen.

Unser gefallenes und erniedrigtes Geschlecht ist so geehrt worden, dass Gottes ewiger Sohn sich in unser Geschlecht begeben hat, einer unseresgleichen, unser Blutsverwandter geworden ist. Nun will ich nichts mehr wissen, unser Geschlecht ist wahrlich so geehrt und über alle Engelthronen, ja bis in den Himmel erhöht worden, so dass man wohl sagen muss, dass unser durch den Sündenfall erlittener Schaden, unsere Schmach und Erniedrigung mehr als reichlich gerächt und erstattet sind. Jetzt ist es die größte Ehre, ein Mensch zu sein; ja die heiligen Engel hätten wahrlich Grund zu wünschen: Ach, wer nur ein Mensch wäre!“ Es ist wahr, was Luther bemerkt: „Nachdem der Sohn Gottes ein Mensch geworden ist, sollte dies doch die Frucht und die Wirkung auf uns haben, dass wir alles, was Mensch heißt, innig lieben und uns darüber freuen und nie mehr irgendwelche Unfreundlichkeit gegen ein Mitglied dieses Geschlechts hegen.“

 

Alle wiedergeborenen Christen müssten sich auch zu ihrem Troste und ihrer Ermunterung gegen alle Widerwärtigkeiten des Lebens etwas tiefer in diese Betrachtung versenken und Gott um die Gnade bitten, sie in ihr Herz hineinzubringen, so dass sie mit großer Freude und Verwunderung sprechen könnten: Jetzt will ich nichts mehr. Gottes Sohn ist ein Mensch! Dann wird es mit allem gut werden. Ist Gottes Sohn unser Anverwandter oder Blutsverwandter geworden, dann ahne ich im Herzen Gottes eine größere Liebe zu den Menschen, als wir gewöhnlich glauben. Dann muss es nicht so sein, wie es uns so oft vorkommt, dass Gott fern und gleichgültig gegen uns sei; nein, dann muss ein tiefes Verbergen dahinterliegen, ein wundersames Spielen mit uns, wenn Er sich so verhält, als kümmere ER sich nicht um uns.“

 

O Abgrund der Barmherzigkeit,

Dass Gott sich hat in Fleisch gekleidt,

Die Menschheit angenommen,

In allem, ohn’ die Sünd, uns gleich!

Willkomm’n, Herr Gott, vom Himmelreich!

 

Willkomm’n, Herr Jesu! Amen.

Entnommen aus dem Buch von Mag. Olof Rosenius – ‘‘Tägliches Seelenbrot‘‘

(herausgegeben von LUTH. MISSIONSVEREIN SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. http://www.rosenius.de)